Und jährlich grüßt Copernicus

Was oft passiert wird wohl noch öfter passieren oder was oft passiert kann doch nicht noch mehr werden. Das sind die beiden Grundhypothesen der Stochastik. Nach drei Jahren mit einer Pandemie, einem Vulkanausbruch, einem beinahe Hurrikan und einem Flächenbrand neben dem Haus kam es jetzt wieder dick. Endgültig ist klar, eine Vorhersage gibt es nicht.

Letzten Samstag auf La Palma: Ich hörte morgens einen Hubschrauber auf das Haus zukommen. Er hatte diese ätzende Kugel unten dran, mit der sie Wasser über die Waldbrände schütten, und er flog direkt über mir, nicht hoch aber laut, und im Wegfliegen sah ich sein Ziel. Eine Rauchsäule in ca. 10km Entfernung hinter dem nächsten Bergrücken.
Im Internet stand: Waldbrand in Puntagorda, 20 Minuten mit dem Auto nach Norden. Na das ist doch weit weg, das werden sie schon in den Griff bekommen.

Samstag 11 Uhr, Brand in Puntagorda ca. 10 km entfernt.
Samstag 13 Uhr, das Feuer erreicht den Bergrücken 5km nördlich.

Ich sah also erst mal nicht mehr hin. (Ich seh dich nicht, du siehst mich auch nicht.)
Zwei Stunden später sind die ersten Flammen zu erkennen. Das Feuer erreicht den Bergrücken vor der Kreisstadt Tijaraffe, nur noch 10 Minuten mit dem Auto weg. Das ist nicht gut!

Im Internet fangen die offiziellen Stellen an den den Brand in Stufe 2 zu heben und damit alle Abwehrmassnahmen zu ermöglichen. Dies waren schon jetzt die Inselregierung mit ihrer Feuerwehr, die Umweltbehörde = Waldpolizei und der vom Vulkan bekannte Katastrophenschutz. Das Feuer brannte seit 1 Uhr nachts und hatte schon 8km zurück gelegt. Langsam werde ich nervös.

Noch eine Stunde später und der Wald im nächsten Baranco (Taleinschnitt) brennt. Da ist eine kleine Brauerei, die Stadt mit Bank und Apotheke, wie kann das alles sein?
Es war entweder eine Zigarette oder drei jugendliche, die bei Waldbrandwarnstufe „mehr als extra hoch“ es für spassig hielten, einen Müllcontainer anzuzünden. Genau wird man es nie wissen, aber das Feuer legte in 13 Stunden 10 km zurück und ist jetzt ein Flächenbrand am Westhang der steilsten Insel der Welt. Zum ersten Mal seit dem Vulkan regnet es wieder Asche, nur diesmal gröber, als kleine Holzkohlestücke. Ich bin alleine mit sieben Tieren und einem halbvollen Elektroauto, und ich fange an zu packen.

Samstag 14 Uhr, der Nordwind treibt die Flammen zu uns nach Süden.
Samstag 16 Uhr, unser Hang steht in Flammen.

Danach blieb keine Zeit zu fotografieren. Um 16 Uhr ist das Auto mit den wichtigsten Dingen gepackt und fast voll geladen. Die Tiere sind in den Gitterboxen und der Wald oberhalb am Hang steht in Flammen. Keine 2km mehr zum Haus. Na wenigstens nicht von unten, zur Hauptstrasse hin ist noch alles frei.

Die Nachbarn waren da und sagten mir, was zu tun sei. Also tue ich was alle tun: Tor auf (für die Polizei), Poolabdeckung runter (für den Helikopter), Sitzkissen und sonst brennbares rein und Wässern. Alles raus was nass ist! Das Haus, den Boden, die Pflanzen und das Gestrüpp auf der Nachbarbrache.

Einer von 10 Hubaschraubern beim Abwurf – Bild aus dem Internet

Diese elenden Geizhälse! Das unbebaute Grundstück hinter der Mauer ist voll von trockenem Buschwerk, trotz Gesetz dagegen – falls es maaal brennt. Ach was, echt? Jetzt weiß ich auch warum. Die Zysterne ist schon halb leer und das Wasser verdampft nur auf diesem Grillanzünder. Vorn fertig geht es hinten wieder los, alles heiß und trocken, keine Chance. Wo waren die blöden Rasensprenger aus Deutschland? Letztens noch gesehen. Ist das Hundefutter im Auto? Die Tabletten für das Knie und bloß das Ladekabel nicht vergessen. Sonst strandet der Stromer.

Die ersten Whatsapp von Freunden kommen mit Angeboten zur Unterbringung. Alle erwarten eine Evakuierung. Puntagorda und Tijarafe sind schon geräumt, praktisch nebenan. Da sind die von der Policia Local nicht zimperlich. „Bisher haben wir noch keinen im Brand verloren und so wird es auch bleiben!“ Um 18:00 Uhr brennen Bäume direkt oberhalb am Kraterrand. Als ich die letzten Futternäpfe ins Auto quetsche, kommt von unten das erste Lautsprecherkrächzen. Das Blaulicht langsam hinterher.

Auf dem Roque de los Muchachos (2523m) kroch das Feuer über den Rand der Caldera und bedrohte den unzugänglichen Talkessel. Bild aus dem Internet.

Zwei Beamte halten neben dem offenen Tor. „¿Evacuación?“, „¡Sí, evacuación!“, „¿Ahora?“, „¡Ahora sí!“. Dafür reicht das Spanisch leider noch, also raus und zwar jetzt. In 5 Minuten bitte kein Auto mehr auf dem Grundstück. Ich schliesse das Haus ab, rede noch kurz mit den Nachbarn und fahre Richtung Süden durch leere Strassen, vorbei an Polizeiposten und heulenden Feuerwehren.

Am Parkplatz der Dorfkirche ist die Demarkationslinie, „Checkpoint Fuego“. Alles voller Einsatzfahrzeuge (sicher 50 sind es), Leute in Uniform, Licht- und Funkmasten und Fernsehkameras. Politiker geben Interviews und ein Polizist winkt mich durch die Menge. Über uns die Hubschrauber, noch zwei Strassensperren und ich bin raus – das ist wie im Krieg.
Oder wie im Vulkan. Zum zweiten Mal evakuiert in zwei Jahren. Das war so nicht geplant, denke ich mir. Und ich rieche, dass die armen Tiere noch viel nervöser sind als ich.

Luftbild der Rauchfahne, oben La Palma, unten links El Hierro, rechts La Gomera. Gut zu sehen sind der Nordostpassat mit Wolken in der Höhe und tiefer der Nordwestwind, der Rauch und Feuer an der Westseite der Insel entlang trieb.

In Tazacorte im Tal sind bei Stefan zwei Zimmer, Küche, Bad und Brunnen frei. Früher hatten die Stadthäuser einen Brunnen als Wasserstelle im Erdgeschoß, genau richtig für die Schildkröten. Die Hunde dagegen sind zum ersten Mal in einer Wohnung. Das erfordert ständiges Gassigehen, zumal der einzig halbwegs grüne Fleck eine Banananplantage etwas weiter weg ist, in der sie nacheinander Durchfall bekommen. Aber das ist noch Gold gegen die Stadthalle mit den Feldbetten vom Cruzio Roja. Da dürfen keine Tiere hin und müssten ins Tierheim, was noch schlimmer wäre als ein verbranntes Haus.

Aprospos Haus. Die Spanier sind schnell bei Evakuierung und langsam mit der Information. In den nächsten zwei Tagen sind die einzigen Informationsquellen die Blogger, die die Pressekonferenzen verstehen und die Photovoltaik im Haus, die noch immer über das Internet erreichbar ist. So lange sie geht, ist es nicht verbrannt. Wieder sehe ich die Höhenbilder der Insel des EU Satelliten Copernicus mit Brandherden und zerstörten Häusern. Wie schon beim Vulkan wartet man auf die neuste Aktualisierung und vergleicht rote Zonen, grüne Zonen und die Distanz zum Haus. Es kann einfach nicht wahr sein.

Brandkarte am Tag 3, gelb das betroffene Gebiet von 3000ha, blaue Kreise die glöschten Feuer, rot die aktiven Feuer, blau unten Mitte das Haus, die Feuer sind noch 2km weg.

Der Brand ist am nächsten Morgen außer Kontrolle und die Regierung schickte über Nacht das Militär: 80 Soldaten im A400M und zwei Löschflugzeuge aus Malaga. Von den Nachbarinseln kamen alle zehn Hubschrauber. Zusammen 500 Personen löschen an drei Fronten. Wirklich wie im Krieg, und ich gehe Gassi.

Aber dann kommt doch Entwarnung. Zuerst die spanischen Bekannten aus Tijarafe, wo das Feuer bis über die Strasse kam, was unter allen Umständen verhindert werden sollte. Die ganze Nacht kämpfen sie zu dritt um ihr Haus. Wie alle Spanier sind sie geblieben, trotz Evakuierung. Die Flammen um sich herum löschen sie aus Eimern und Schläuchen – und am nächsten Morgen fragen sie wirklich wie es mir geht, schicken einen Bekannten zum Haus (einen Spanier von nebenan, der auch nicht ging…) und berichten: alles ok. Die Nachbarn wenig später (auch Spanier, die…), alles gut, Feuer noch weit weg, wir haben die Nacht durch gewässet. Man muss wirklich lernen hier zu leben und was sie mit weit weg meinen.

In der Nacht zum Sonntag rettet eine Abkühlung mit hoher Luftfeuchte und Westwind uns, aber das Feuer bricht über den Bergrücken in die Caldera ein, den Nationalpark. Eine unbewohnte Katastrophe. Alle evakuierten unterhalb von 500m dürfen abends zurück in ihre Häuser. Na, so viel höher sind wir doch auch nicht. Am Montag morgen packe ich das Auto wieder voll und schummele mich zurück ins Haus. Keine Kontrollen mehr. Ich komme gut durch, aber die Tiere sind noch nervöser als vorher. Sie ahnen wohl mehr als ich. An unserer Strasse von der Hauptstrasse ist ein Absperrband, zerissen. Ich fahre durch. Keine Nachbarn zu sehen, das Haus ohne Schaden, aber die Luft brennt!

Das Bild aus der Onlinezeitung El Time zeigt das Wasserholen in einem Bananenspeicher und hinten links das Wasserflugzeug beim Abstieg zum Meer. Der Buddy des Helikopters fliegt oben rechts schon wieder zum Feuer.

Keine 500m. vom Haus raucht es, oder brennt es? Ich sehe nicht mehr weiter hin, ich darf ja nicht hier sein. Die Hubschrauber donnern direkt über uns, drei Mal pro Minute, zum Wasser holen und werfen es auf den Dampf, wie ein Karussell, alle 10 sind da und löschen unseren Hang. Wenn sie tanken müssen, dann kommen die Wasserflugzeuge in die Lücke und nutzen die Zeit für ihre zig Tonnen Salzwasser aus dem Hafen.

Hubschrauber mit Löschbirne, sieht höher aus als er war.

Kein Tier will raus. Es dröhnt und die losen Sachen fliegen herum. Stundenlang geht das so bis zum Nachmittag. Dann ziehen die Hornissen ab in die Caldera, wir sind scheinbar gerettet. Ich lasse die Tiere wieder frei, aber die Taschen bleiben erst mal im Auto. An sowas muss ich mich auf Dauer doch gewöhnen.

Das ist nun zwei Tage her. Man schläft nicht gut, wenn es am Hang raucht. Das Blaulicht nachts im Wald leuchtet und die Bodentruppen versuchen das Feuer bis zur Dämmerung in Schach zu halten. Schwaden im Sonnenaufgang – Wolke oder Rauch? – und wartet auf die erste Hornisse am Morgen.
Vorhin stieg wieder Rauch auf, oben am Hang. Ein Helikopter warf fünf Birnen Wasser und gut war’s. Aber ruhig ist was anderes. Taschen ausgepackt, Tiere hungrig, seit Mittag ist der Brand offiziell unter Kontrolle und seit Nachmittag kein Fluglärm mehr. Stattdessen überall Laubbläser gegen die Asche. Da sind mir die Hubschrauber lieber.

Richtig ärgerlich war der Quatsch, der im Fernsehen kam. Es waren nicht 6700ha, sondern „nur“ 2900ha. Nicht 5000 evakuierte, rastlos umherirrend auf der Suche nach einer Bleibe, sondern nur 20 in der Auffangstation. Und es ist auch keine direkte Folge der Hitze im Süden Europas, sondern einfach Brandstiftung dreier Pickelgesichter. Die Insel La Palma hat die besten Vorraussetzungen den Klimawandel halbwegs zu bewältigen: Eigenes Wasser, den Atlantik drumherum als Klimaanlage, alle fünf Vegetationszonen der Erde. Es ist hier nie heißer als 35°, aber auf der steilsten Insel der Welt verbreiten sich Brände halt leichter, als in Brandenburg.

Wie schon gesagt, Waldbrand können sie hier. Nur den Pool haben sie verschmäht. War wohl zu klein, dafür aber jetzt voller Asche. Wo ist der Laubbläser?

Ein Kommentar zu „Und jährlich grüßt Copernicus

  1. Mensch Ralf, was für ein Bericht! Gruselig, zumal ich ja nun alles kenne! Was für ein Glück, nochmal davongekommen zu sein. Ich drück Euch so die Daumen, dass alles weiterhin safe bleibt! Auch die armen Hunde.
    Beste Grüße,
    Hartmut

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